Libro
Auf die Frage, wo die Anfänge des öffentlichen Rechts liegen, gibt es verschiedene Antworten. Eine dreiteilige Folge deutsch-italienischer Tagungen, die der Frankfurter Rechtshistoriker Gerhard Dilcher und sein Trienter Kollege Diego Quaglioni 2004, 2007 und 2009 dieser Frage gewidmet haben und deren dritter Band hier vorgelegt wird, sucht eine Antwort auf folgendem Weg: Sie verfolgt den langen Weg der Staatsbildung seit dem Hochmittelalter in der Erwartung, dass sich in der Verrechtlichung der traditionellen Herrschaftsausübung einerseits, in der Theoriebildung des kirchlich-kanonischen wie des römischen Rechts andererseits immer stärkere Verflechtungen und Wechselbezüge ergeben. Aus diesen formen sich dann Prinzipien und Regeln, welche Politik und Machtausübung bis hin zum Absolutismus in Kirche und Staat als Grundlage von Legitimität binden – ein im Einzelnen geistig wie politisch über die Jahrhunderte heftig umkämpfter Prozess. Als in besonderer Weise grundlegend erscheint dabei die Begegnung des staufischen Kaisertums unter Friedrich Barbarossa mit der entstehenden Rechtswissenschaft von Bologna. Hier werden die Grundlagen für den Souveränitätsbegriff gelegt, der dann in der Zusammenfassung von Jean Bodin den Fokus der neuzeitlichen Staatsrechtslehre bildet.
Der vorliegende dritte Band verfolgt in einer Vielzahl von Einzelthemen den Pluralismus der Problemfelder seit dem Spätmittelalter und vor allem in der Neuzeit. Nicht mehr Kaiser und Papst, sondern Kirche und Reich als komplex verfasste politische Körper bilden nun den Hintergrund für die Ausbildung kompakter Territorialstaaten, die von der Nordsee bis Sizilien exemplarisch in den Blick genommen werden. Die alten Zentralbegriffe wie dominium, iurisdictio, imperium und jetzt auch majestas behalten eine gewisse Bedeutung, werden aber nun in das Licht neuer Entwicklungen wie der Konfessionalisierung, der Säkularisierung, der modernen Naturrechtstheorie und des Aufstiegs des Völkerrechts gestellt.
Eine »Tavola rotonda« versuchte am Ende die Ergebnisse dieser vielfältigen Perspektiven zu einem vorläufigen Bild zusammenzufügen. Die Beiträge sind in den Originalsprachen Deutsch und Italienisch wiedergegeben, jeweils mit einer Zusammenfassung in der anderen Sprache.
Indice
Gerhard Dilcher - Einführung
Diego Quaglioni - Introduzione
I. I fondamenti: dal basso Medioevo all'Età Moderna / Grundlagen: vom Spätmittelalter zur Neuzeit
1. La Chiesa / Die Kirche
Hans-Jürgen Becker - Papst, Konzil, Kardinalskollegium. Das Ringen um die oberste Gewalt in der Kirche im 15. und 16. Jahrhundert – Résumé
Giovanni Minnucci - Foro della coscienza e foro esterno nel pensiero giuridico della prima età moderna – Résumé
2. L'Impero / Das Reich
Bernd Kannowski - Die Rechtsgrundlagen von Königtum und Herrschaft in der Gegenüberstellung von »Sachsenspiegel« und »Buch'scher Glosse« – Résumé
Jürgen Miethke - Das Römisch-deutsche Reich in der Kanonistik. Die Wahrnehmung seiner Verfassung im Spätmittelalter – Résumé
3. Territori e città / Territorien und Städte
Dietmar Willoweit - Das Herrschaftsverständnis deutscher Fürsten im späten Mittelalter – Résumé
Claudia Storti - Progetti di riforma istituzionale: Milano nell'età di Luigi XII – Résumé
Eberhard Isenmann - »Plenitudo potestatis« und Delegation. Die höhere und die höchste Gewalt in Rechtsgutachten vornehmlich für deutsche Städte in Spätmittelalter und früher Neuzeit – Résumé
4. Giudizio e processo / Gericht und Prozess
Cecilia Natalini - »Periculis obviare et scandala removere«. Note sul processo medioevale tra diritto e potere – Résumé
Peter Oestmann - Gerichtsbarkeit als Ausdruck öffentlicher Gewalt; eine Skizze – Résumé
II. Verso nuovi ordinamenti / Auf dem Wege zu neuen Ordnungen
1. Mutamenti fondamentali nella teoria e nella prassi / Wandlungen der Grundlagen in Theorie und Praxis
Pietro Costa - »Princeps imago Dei?» Il problema della sovranità nell'orizzonte della secolarizzazione – Résumé
Martin Heckel - Zum Einfluss der Konfessionalisierung auf das Ius publicum des Reichs – Résumé
Angela De Benedictis - »Contrarium ego assero«. Althusius vs. Gentili nella »Politica methodice digesta« – Résumé
Andreas Karg - Jean Tavard – der vergessene »Staatsdenker«. »Iurisdictio« und »Imperium« im juristischen Diskurs der französischen Renaissance – Résumé
Lucia Bianchin - Il diritto pubblico nel rinnovamento della tradizione dottrinale. Il »De Iurisdictione« di Scipione Gentili (1601) – Résumé
Karl Härter - Die Bedeutung der »guten Policey« und vormodernen Ordnungsgesetzgebung für die Ausformung des öffentlichen Rechts im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit – Résumé
Beatrice Pasciuta - Dal contratto al dono: la normazione parlamentare in Sicilia fra XV e XVI secolo – Résumé
2. Problemi dottrinali tra diritto pubblico e privato / Probleme zwischen öffentlichem und privatem Recht in der Rechtswissenschaft
Christian Zendri - La dottrina feudistica italiana fra tradizione medievale e modernità – Résumé
Susanne Lepsius - Ius commune in der Reichspublizistik der frühen Neuzeit – Résumé
Fulvio Mancuso - Potere pubblico e libera concorrenza. Il valore dell' »utilitas publica« nel »crimen monopolii« e nel »monopolium principis« in un »consilium« di Andrea Alciato – Résumé
Alessandro Dani - Tra »pubblico« e »privato«: i princìpi giuridici sulla gestione dei beni comuni e un »consilium« cinquecentesco di Giovanni Pietro Sordi – Résumé
Giuliano Marchetto - »Res publica« e »utilitas privatorum«: il problema della responsabilità della comunità nella letteratura consulente (secc. XV-XVI) – Résumé
III. L'affermazione di un nuovo ordine del »Ius Publicum« / Die Etablierung der neuen Ordnung des »Ius Publicum«
Diego Quaglioni - »Dominium«, »iurisdictio«, »imperium«. Gli elementi nonmoderni della modernità giuridica – Résumé
Bernardo Sordi - Alle origini della grande dicotomia: »Le droit public« di Jean Domat – Résumé
Heinz Mohnhaupt - Reichsgrundgesetze als Verfassung im System des Ius publicum – Résumé
Dieter Wyduckel - Kaiserliche und ständische Positionen im Ius publicum des Reiches – Résumé
Italo Birocchi - Una sensibilità nuova per il »ius inter gentes«: la riflessione di Genovesi – Résumé
Jan Schröder - Die Begründung des öffentlichen Rechts in der Naturrechtstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts – Résumé
IV. Lo specchio del XIX secolo / Der Spiegel des 19. Jahrunderts
Gerhard Dilcher - Staatsbegriff und Korporationsbildung zwischen privatem und öffentlichem Recht im Spiegel der Genossenschaftstheorie Otto von Gierkes – Résumé
Martin Heckel, Filippo Liotta, Pierangelo Schiera, Dietmar Willoweit, Diego Quaglioni, Gerhard Dilcher - Tavola rotonda / Ergebnisse im Rückblick
Parole chiave
- Naturrechtstheorie
- Säkularisierung
- Konfessionalisierung
- Territorialstaaten
Recensioni
- « [...] Insgesamt gesehen bildet dieser Band 3 eine reiche Fundgrube für Juristen, Kanonisten und Historiker; das imposante Gesamtwerk ‹Die Anfänge des öffentlichen Rechts› wird wohl noch auf viele Jahre hinaus die entsprechende akademische Diskussion befruchten.» - Peter Stockmann, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht, Band 180, Heft 1/2011;
- "Der gewichtige Band vereint die Ergebnisse einer Tagung von 2009 und schliesst damit eine Folge von drei Bänden zu den Anfängen des öffentlichen Rects im Mittelalter ab, die Gerhard Dilcher zusammen mit Diego Quaglioni in einer ausdauernden und fruchtbaren Frankfurt-Tridentiner Kooperation mit einer Vielzahl von Beiträgern erarbeitet haben. / ...eine grosse Kollektivleistung..." - Cornel Zwierlein, Gli inizi del diritto pubblico, 3. Verso la costruzione del diritto pubblico tra medioevo e modernità / Die Anfänge des öffentlichen Rechts, 3. Auf dem Weg zur Etablierung des öffentlichen Rechts zwischen Mittelalter und Moderne, in "Historische Zeitschrift", 297/1 (2013);